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Berlin, 2. Juni 2023

EU-Parlament beschließt nach hartem Ringen Position zum EU-Lieferkettengesetz

Am Ende hat es doch noch für eine Mehrheit gereicht. Das EU-Parlament hat am 1. Juni 2023 seine Position zu dem von der Europäischen Kommission 2022 vorgelegten Entwurf zur Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) beschlossen. 366 Abgeordnete stimmten in Brüssel für das geplante EU-Lieferkettengesetz, 225 Abgeordnete lehnten es ab und 38 haben sich enthalten. Damit sollen Unternehmen für Menschenrechts- und Umweltverstöße entlang ihrer Wertschöpfungskette zur Verantwortung gezogen werden können.

Worum geht es?

Der Entwurf enthält sowohl menschenrechtliche als auch umweltbezogene Sorgfaltspflichten sowie Vorgaben für eine verantwortungsvolle Unternehmensführung. Am 1. Dezember 2022 hatte bereits der EU-Rat seine Verhandlungsposition („allgemeine Ausrichtung“) zur Richtlinie festgelegt.

Wen betrifft es?

Das vorgeschlagene Gesetz verpflichtet Unternehmen mit Sitz in der EU, mehr als 250 Angestellten und mehr als 40 Millionen Jahresumsatz unabhängig von ihrer Branche Menschenrechtsverletzungen und Umweltverstöße in ihrer Wertschöpfungskette zu erkennen, Präventions- und Abhilfemaßnahmen zu ergreifen und darüber zu berichten.

Die Regeln gelten auch für Firmen, die ihren Sitz außerhalb der EU haben, wenn sie mehr als 150 Millionen Euro jährlich umsetzen und davon mindestens 40 Millionen Euro in der EU generieren.

Wie weit reicht die unternehmerische Verantwortung?

Unternehmen müssen in angemessener Weise sowohl die vorgelagerte (z.B. Rohstoffabbau) als auch die nachgelagerte Wertschöpfungskette (Verwendung, Verwertung, Entsorgung) im Blick haben.

Die vorgelagerte Wertschöpfungskette eines Unternehmens umfasst alle Aktivitäten, die vor der eigentlichen Herstellung eines Produktes oder der Erbringung einer Dienstleistung stattfinden. Diese Aktivitäten dienen dazu, die notwendigen Ressourcen zu beschaffen, um das Endprodukt herzustellen oder die Dienstleistung zu erbringen. Typischerweise umfasst die vorgelagerte Wertschöpfungskette folgende Aktivitäten:

  • Forschung und Entwicklung (F&E)
    Erforschung neuer Technologien, Produktideen oder Verbesserungen bestehender Produkte und Entwicklung von Prototypen sowie die Durchführung von Machbarkeitstest.
  • Beschaffung
    Rohstoffe, Bauteile oder Dienstleistungen von Lieferanten oder anderen externen Partnern sowie die Auswahl von Lieferanten, die Verhandlung von Verträgen, den Einkauf von Materialien und die Überwachung der Lieferkette.
  • Logistik
    Transport, Lagerung und Umgang mit den eingekauften Materialien sowie Planung und Organisation des Transports, Verwaltung von Lagereinrichtungen und Optimierung des Materialflusses.
  • Produktion
    Verarbeitung der Rohstoffe, die Montage von Bauteilen, die Qualitätskontrolle und die Überwachung der Produktionsprozesse.
  • Qualitätsmanagement
    Maßnahmen zur Sicherstellung der festgelegten Qualitäts-Standards und die Implementierung von Qualitätskontrollverfahren, die Überwachung der Produktionsqualität und die Einhaltung von Qualitätszertifizierungen.

Die nachgelagerte Wertschöpfungskette eines Unternehmens umfasst alle Aktivitäten, die nach der Herstellung eines Produktes oder der Erbringung einer Dienstleistung stattfinden. Diese Aktivitäten dienen dazu, das fertige Produkt zum Kunden zu bringen und einen Mehrwert zu schaffen. Typischerweise umfasst die nachgelagerte Wertschöpfungskette folgende Aktivitäten:

  • Distribution
    Transport des fertigen Produktes vom Hersteller zum Kunden und Versand an Einzelhandelsgeschäfte und Großhändler. Die Distribution kann verschiedene Transportmittel, Lagerhaltung und Logistikdienstleistungen beinhalten.
  • Vertrieb und Marketing
    Aktive Bewerbung der Produkte, um Kunden zu erreichen und zum Kauf zu bewegen. Dies umfasst Vertriebsaktivitäten wie Verkaufsgespräche, Verhandlungen, Kundendienst und Verkaufsförderungsmaßnahmen, um die Bekanntheit und den Absatz zu steigern.
  • Kundenservice
    Kundenservice, um die Kundenzufriedenheit aufrechtzuerhalten und Bearbeitung von Reklamationen sowie technischer Support, Wartungsdienstleistungen, Schulungen und den Aufbau langfristiger Kundenbeziehungen.
  • Ersatzteile und Reparatur
    Beschaffung von Ersatzteilen, Reparaturdienstleistungen und Kundensupport im Zusammenhang mit der Reparatur des Produktes.
  • Rücknahme und Recycling
    Rücknahme und Recycling von Produkten und Sammeln von Altgeräten sowie das Recycling von Materialien oder die Wiederverwendung von Komponenten.
  • Marktforschung
    Durchführung von Umfragen, Marktanalysen, Wettbewerbsbeobachtung und die Bewertung des Kundenfeedbacks.

Abnehmer und Verbraucher sind nicht erfasst.

Was sind die nächsten Schritte?

Nach der knappen Entscheidung im EU-Parlament folgt als nächster Schritt im Gesetzgebungsverfahren in der EU der „Trilog“, in dem der Rat mit dem Europäischen Parlament und der Kommission die endgültige Richtlinie aushandelt.
Die Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten sollen noch im Sommer beginnen. Ziel ist es, bis Ende des Jahres, also vor den Europawahlen im nächsten Jahr, eine interinstitutionelle Vereinbarung zu erzielen.
Nach Inkrafttreten müssen die Mitgliedsstaaten die Richtlinie spätestens nach zwei Jahren in nationales Recht umsetzen. Das bedeutet, dass das deutsche Lieferkettengesetz gegebenenfalls an die Richtlinie angepasst werden muss.
Anders als in Deutschland muss nach europäischem Vorschlag das Risikomanagement der Unternehmen die gesamte Wertschöpfungskette umfassen, d.h. den eigenen Geschäftsbereich inklusive Tochterunternehmen, unmittelbare Zulieferer, mittelbare Zulieferer sowie Produkte und Dienstleistungen.

Wo liegen die Kontroversen, die im Trilog-Verfahren nun ausgeräumt werden müssen?

Haupt-Kritikpunkt sind die Belastungen für die Wirtschaft. Unternehmensverbände fordern ein handhabbareres Lieferkettengesetz, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen zu gewährleisten. Der bürokratische Aufwand, der mit der Umsetzung des Gesetzes verbunden ist, sei nicht angemessen, heißt es in Brüssel.

Konservative Abgeordnete werteten es als Erfolg, dass die Einbeziehung von kleinen und mittelständischen Unternehmen in das Gesetz verhindert worden sei. Auf der anderen Seite wurde jedoch der Finanzsektor in den Geltungsbereich einbezogen. Dies verbuchten NGO und andere Gruppen als Erfolg. Sie begrüßen das Gesetz trotz einiger Bedenken. Es sei eine gute Nachricht, dass z.B. Klimaziele in die Boni der Vorstandsmitglieder großer Unternehmen verpflichtend einbezogen werden müssten.

Was bedeutet die Position des EU-Parlaments für Unternehmen?

Unternehmen sind gut beraten,

  • transparenter über ökologische und menschenrechtliche Sorgfaltspflichten in Ihren globalen Wertschöpfungsketten zu berichten.
  • das Compliance- und Risiko-Management anzupassen.
  • die Kommunikation mit allen Stakeholdern in der Lieferkette zu intensivieren.

Fazit

Die Vorgaben des deutschen und des europäischen Lieferkettengesetzes sind grundsätzlich nicht neu. Sie fußen auf anerkannten Rahmenwerken wie den Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte und der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Es ist unumstritten, dass menschenrechtliche Sorgfaltspflichten die Resilienz von Lieferketten stärkt und Reputationsschäden vermeidet. Fest steht: Es wird in den kommenden Wochen und Monaten im Rahmen des Trilog-Verfahrens noch harte Verhandlungen bis zum finalen Gesetz geben.

Marco Vollmar

Partner

Marco Vollmar arbeitet als Partner in der Kommunikationsberatung MSL und verstärkt seit April die Sustainability Practice. Bis Ende 2022 war er über elf Jahre Geschäftsführer Kommunikation & Kampagnen beim WWF Deutschland.

Foto ©️ Monique Wüstenhagen

© MSL